Die Kirchen­fenster von Sigmar Polke im Gross­münster Zürich

Architekturfotografie
Die aussergewöhnliche Materialwahl der Achatscheiben führte zu einem einzigartigen Ergebnis. Wie Alabaster wurde der widerstandsfähige Edelstein schon früh sehr geschätzt, doch nie in dieser Form verwendet. Um kosmische und erdgeschichtliche Bezüge aufzuzeigen, hatte Polke bereits 1986 einen Meteor und einen Kristall in sein Konzept der Biennale einbezogen, später auch Gold sowie einen Jadeblock ausgestellt und kostbare Bernstein-Objekte mit seinen Amber-Paintings kombiniert. Die augenfällige Ähnlichkeit der Weltscheibe auf einer Genesis-Miniatur mit einem Achat-Schnitt brachte ihn auf die Idee. In der Wiener Bible moralisée vermisst der Schöpfer mit einem Zirkel den Kosmos, den der mittelalterliche Illuminator in konzentrischen Kreisen darstellte; um die Erde im Zentrum drehen sich die Gestirne auf nächtlichem Grund, den Wasser und Luft umkräuseln mit einem hellgrünen und bläulich-weissen Saum. Wer durch das nördliche Portal des Grossmünsters eintritt und sich im Innern umwendet, hält staunend inne. Denn wo von aussen kaum ein sanftes Muster sichtbar ist, verblüfft über dem Türsturz ein funkelndes Bild, ein intensives Farbenspiel, bunt gefügt. Erst auf den zweiten Blick wird in dem Blau, Grün und Purpur, die helles Rot überbietet, im Braun, Beige und Grau auch die Komposition erkennbar, ihre Ordnung und Symmetrie. Die vertikale Mittelsprosse im Halbkreis des einstigen Tympanons fungiert als Spiegelachse für die runden und ovalen Scheiben aus Achat. Von der Mitte der Basis strahlen die locker angeordneten Reihen nach aussen, rote Paare treten in Konkurrenz zu grünen Sequenzen, weiss aufleuchtende Kristalle unterbrechen kobaltblaue Partien. Ein Teil der Steine verdankt den kräftigen Farbton künstlicher Behandlung; da ihre Konturen für die Fassung der Bleiruten kaum begradigt scheinen, entsteht der Eindruck eines natürlichen Konglomerats. Dass schräg zwei übergrosse Scheiben schwärzlich-trübe aus der Buntheit schauen, verwandelt sie in einen starren Blick aus hunderttausend Augen: ein Dämon. Schützt er den Ausgang? Bewacht er den Eingang? Keines der anderen Achat-Fenster entfaltet die gleiche Präsenz wie dieses, doch jedes birgt seinen eigenen Zauber. Die schmalen Öffnungen in den tiefen Laibungen der dicken Mauern der Turmfassade lassen kaum anderes als eine vertikale Anordnung der Rundformen zu. Während das nördliche Fenster durch ein helles Rot, das südliche durch ein kräftiges Blau auf die Gewandfarben der Apostel aus dem 19. Jahrhundert im Mittelschiff reagieren, herrschen in den übrigen die natürlichen Töne der Achat-Varietäten vor, von künstlich-blauen Einzelexemplaren akzentuiert. Insgesamt fügen sich Polkes Achatfenster mit ihrer unregelmässig-regelmässigen Struktur wie ein kostbares Mosaik in das Mauerwerk und schliessen es, als habe sich das massige Gestein selbst in leuchtende Materie verwandelt. Tatsächlich werden die Achat-Mandeln nur in dünn geschnittenen Scheiben durchscheinend. In ihren feinen kristallinen Schichten brechen und filtern sie das Licht. So leuchten sie wie aus der Tiefe der Zeiten und offenbaren strahlend ihre uralte Substanz. [Auszug: Dr. Katharina Schmidt, Ein Weg zu Sigmar Polkes Kirchenfenstern. Bilder aus Stein, Glas und Licht}

Kurator: Ulrich Gerster
Auftraggeber: Kirchenpflege Grossmünster Zürich
Copyright der Achatfenster: Sigmar Polke, Grossmünster Zürich, Lorenz Ehrismann

Publikationen:
Diverse Print- und Onlinemedien
→ siehe Website Grossmünster
→ siehe arttv.ch Dokumentationsfilm

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